Tagesmutter ist teurer als Krippe
Juristin klagt gegen den Landkreis Stade: Ungleichbehandlung von Familien, die Kind betreuen lassen
JUTTA EIDTMANN LANDKREIS. Als Juristin Angela Heinssen vor drei Jahren für Sohn Henri einen Krippenplatz in Jork suchte, ließ man sie abblitzen. Sie fand eine
Tagesmutter und seither stößt die mittlerweile zweifache Mutter auf mancherlei Ungereimtheiten, wenn es um die Tagespflege-Kostenbeiträge im Landkreis Stade geht. Jetzt ist Heinssen, die sich im
kommunalen Haushaltsrecht auskennt und gegen den Landkreis klagt, auf dem besten Wege, Fachanwältin und Familien-Fürsprecherin zu werden.
"Es geht mir um die berufstätigen Mütter. Wenn sie ihre kleinen Kinder gut aufgehoben wissen, sind sie viel entspannter und zufriedener. Und wir alle wollen doch viele Kinder in unserer
Gesellschaft. Dann müssen wir auch für eine gute und bedarfsgerechte Betreuung sorgen", sagt die Jorkerin, die am Lühedeich beim Lühe-Anleger lebt. Gleich nebenan hat sie Räumlichkeiten für die
Großtagespflegestelle "Grashüpfer" bereitgestellt. Dort wird auch ihre kleine Helena (1) betreut.
Mit Spannung erwartet die Rechtsanwältin, die viele Jahre in einem Konzern in Düsseldorf tätig war, das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade, das sie gerade in einer Art Musterklage erwirkt. Die
43-Jährige hofft, dass das Gericht die "Satzung des Landkreises Stade über die Erhebung von Kostenbeiträgen für die Kinder-Tagespflege" für nichtig erklärt. Denn diese Satzung - das legt sie in
ihren Schriftsätzen dar - steht nicht im Einklang mit dem, was die niedersächsische Landesregierung und die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände nach dem sogenannten Krippengipfel
vereinbart hatten.
Ganz einfach formuliert geht es um die Ungleichbehandlung von Familien, die ihr Kind zu einer Tagesmutter und nicht in eine Krippe geben (können oder wollen). Zur Erinnerung: Genau diese
Diskussion findet gerade in Stade statt, weil die Hansestadt Ungleichgewichte bisher vermied und mit der Abgabe des Jugendamtes eigentlich die Konditionen des Landkreises gelten werden.
Tagespflege und Krippe sind beides Angebote, die den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz erfüllen. Aber Tagespflege (hier gibt es acht Staffeln) kann eine gut verdienende Familie im
Landkreis Stade im Einzelfall monatlich 450 Euro kosten, während die gleiche Betreuungszeit in einer Kindertagesstätte nur 220 Euro kostet. Bei zwei Kindern klafft die Schere noch weiter
auseinander, vor allem wenn ein Kind in den Kindergarten und eines zu einer Tagesmutter geht und Geschwisterrabatte nicht wirksam werden.
"Der Landkreis bereichert sich", sagt Heinssen und legt ein drittes Beispiel vor: Da erhält die Tagesmutter für die tägliche Vollzeit-Betreuung eines Kindes weniger Geld, als der Landkreis durch
den Elternbeitrag und eine Erstattung vom Land einnimmt: "Das darf in einem kommunalen Gebührenhaushalt nicht sein".
Wann denn der Landkreis gedenke, diese Ungleichbehandlung aufzugeben, fragte sie kürzlich auch den Jugendhilfeausschuss. Wegen des "schwebenden Klage-Verfahrens" wollte Dezernentin Susanne
Brahmst darauf nicht eingehen. Vorsitzender Dr. Harald Stechmann erbat die Fragen schriftlich und forderte die Verwaltung auf, den Ausschuss über die Antworten zu informieren.
Warum zahlt der Landkreis für Tagespflege keine Betriebskosten (für Krippenplätze fließen bekanntermaßen 160 Euro)? Warum wird die Vergütung (3,50 Euro pro Stunde gelten einheitlich und
bezirksweit) für Tagesmütter nicht sukzessive hochgesetzt? Warum gibt es Unterschiede bei der Begrenzung von Pflegeplätzen bei Einzelmüttern und Großpflegestellen? Es stellen sich noch viele
Fragen, auf die Angela Heinssen als Mutter, selbst ausgebildete Tagesmutter und Juristin, stößt. Sie weiß: Das bleibt für sie ein weites Tätigkeitsfeld.
Stader Tageblatt 19.07.2011